07.01.2009

Verpuffungen

J. hat erst mit mütterlicher Penetranz den Labrador eines ihr vollkommen fremden Gastes minutenlang ungefragt geknuddelt und mir dann, auf dem Weg zum Klo, eröffnet, ich würde arrogant und böse dreinschauen. Da wußte ich ihren Namen noch nicht, nicht einmal, daß es sie gab, und wollte einfach nur ein paar sanfte Drinks verführen.

Die Weiße Stimme des Blues / 05:10 / Reportagen vom Ende der Welt / Link / Zwischenruf / Trackback

Arrogant und böse angeblich blicke ich also in die Runde, während ich in Gedanken ganz woanders bin und routinierte Melancholie als meine treue Begleiterin weiß. Auf einer Farm im südlichen Afrika vielleicht, mit einer Leopardendame als Haustier, die die kleinen Kinder meiner Freunde durch den schlangenverseuchten Busch beschützt. Oder bei dieser Mandeläugigen, die mir immer noch ein halbes Leben schuldet, oder bei meiner toten Mutter, deren einzige Weisheit darin bestand, bei zugeschlagenen Türen sich öffnende Fenster zu prognostizieren. Das muß so eine Art optimistischer Fatalismus gewesen sein. Vielleicht begreife ich das ja irgendwann und komme davon los.

J. zwängt sich an mir vorbei, schon wieder empört ob meines Gesichtsausdruckes: »Arrogant ... warum lächelst Du nicht?« – ich grinse sie halb nieder und sie nimmt meine Hand in ihre beiden, wobei ihre eigentlich uninteressanten Augen zu schrecklich blauen Planeten werden, denn ihre Finger sind so kalt wie das Wetter draußen, meine wärmer und gleich mindestens so feucht, wenn sie nicht damit aufhört. »Siehst Du, von Arroganz kann keine Rede sein«, versuche ich den Faden aufzunehmen und sie gleichzeitig loszuwerden, denn mein Typ ist sie nicht. Vielleicht ist es Verstörung, vielleicht einfach ihre Natur, die sie ihre Beine gegen meine pressen läßt, am wahrscheinlichsten aber der x-te Drink, der seinen Tribut fordert. Oder ich bin halt so. Ich werde in Freibädern regelmäßig als Bademeister identifiziert, obwohl das ob meiner Statur eigentlich nicht sein kann. Oder als Kellner, das aber nur von gut erhaltenen Frauen ab 50. Wo ist mein Engel, der das auch sein will, und nicht bloß ein Gedärm voll Scheiße?

Nun stellt sie sich auch noch vor, ich mache mit, wohl wissend, daß wir uns nicht das Geringste zu sagen haben. J. stemmt ihre Hände in die Hüften und »öffnet« ihren Oberkörper, also eigentlich hängt sie ihre bemerkenswerten Titten fast in mein Gesicht, das bekanntlich arrogant und böse aussieht. Okay, einen Drink kann ich ihr ja spendieren. Phantasielos schließt sie sich meiner Präferenz an: Cuba libre. Aber nicht so eine Pfütze, sondern »mit richtig was drin«.

Wieso ich so böse sei, will sie wissen. Ich verneine und versuche zum Beweis einen Witz zu erzählen. Mir fällt keiner ein. Sie hat recht. Oder auch nicht. Ich sitze hier bloß und lasse die Gedanken kreisen. Seit wann muß dazu gelächelt werden? Über ihr Leben denke sie gerade nach, und daß man ja neben all der Arbeit auch mal Kinder haben wolle. Willkommen im Club, willkommen in der Welt der vagen Wünsche! Ihr Blick geht in diese bestimmte Leere, in der sich nur üble Erinnerungen zeigen. Da sie auch ein wenig wankt, vermute ich Konzentration der besonders morbiden Sorte. Ich frage nach dem Dunkel. J. gewährt mir Einblick in ihre sehr, sehr kurze Karriere als Geldfälscherin: Geldscheine auf dem Farbkopierer vervielfältigt (als das noch ging), prompt erwischt und auf Bewährung verurteilt worden! Ich versichere ihr meine Anerkennung, die echt ist, sie mir ihre tiefe Scham und nochmals ihren Kinderwunsch, als würde das eine notwendigerweise aus dem anderen resultieren. Am Ende ist das womöglich so.

Inzwischen liegt ihre rechte Hand auf meinem linken Schenkel und ich versuche, ihrem Blick auszuweichen, denn falsche Versprechungen halte ich noch immer für unzumutbar. Der junge DJ mit Baseballkappe und Idiotenjeans legt In The Mood von Glenn Miller auf. Ich sehe mich durch meine Heimatstadt schlendern, gerade sechzehn, mit beigen Bundfaltenhosen und Hawaii-Hemd, wie ein GI auf Fronturlaub und auf der Suche nach einem Abenteuer. So war das wirklich: ich und O., mein Buddy aus der Grundschule, waren Pioniere der ganzen Retrokiste, bevor sie unter diesem Namen bekannt war. Und wir produzierten auf einer antiken Schreibmaschine Comedy, die alles, was heute über den Bildschirm flimmert, in den Schatten stellte. J. muß damals Säugling oder Kleinkind gewesen sein, was sie mir irgendwie sympathisch macht. Was für ein junges Ding und – genau genommen – schön blond!

Daß ich schon wieder so arrogant blicken würde, bemängelt J., gleichzeitig sucht sie in der leeren Packung nach einer Zigarette, bis ich ihr eine von meinen reiche. Sexy inhalieren kann sie schon, registriere ich. Vielleicht kann man daraus ja etwas machen. Jetzt monstert auch noch Shame Shame Shame von Shirley & Company durch die Bar, konzertierte Hüftschwünge provozierend. Meine bleiben still und tot, J. versucht einen Schmollmund, zu dem ihre Lippen nicht geeignet sind.

Und schon ist die Luft raus.

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