21.01.2010

Entrückt und glücklich

Ein Tag bei zweiundvierzig Grad im Schatten lärmte durchs kastilische Hochland, ließ Blätter ohne Kühle rauschen und bestrafte jede Hektik mit Strömen von Schweiß. Wasserleitungen waren das Netz des Lebens, bleischwer und artig, die Luft kaum spürbar, aber schmutzig vom Stadtleben, nur in dunklen Ecken kam sie matt zur Ruhe. Und als es dunkel wurde, blieb es heiß.

Die Weiße Stimme des Blues / 21:31 / Link / Zwischenruf / Trackback

Und da war M.

Eine Halbinsel presst ihr Öl in die Welt und alles nimmt seine Trägheit und Farbe an. So wie ihre Haut, die keine Blässe kannte, nur diesen hellen Oliventon, unmischbar auf meiner Palette, umso kostbarer im Auge, die Hände wollten in pflücken und griffen immer daneben, es blieb etwas Unberührbares an ihr und ihrem leeren Katholizismus, der nie etwas entschuldigen durfte, wenn es nach ihr ging. Viel Abwesendes war in ihren Themen, es sprach immer etwas anderes mit, lauernd und fragwürdig, bestimmt und vage zugleich. Worte entzogen sich, viel zu vulgär blieb die Zunge angesichts der kochenden Kälte dessen, was um uns herumschlich. Und das ich nicht kannte.

Sie hüllt sich in ein Bettlaken.

Achtundreißig Grad um Mitternacht, leichte Wolken befleckten den schwarzen Himmel, matt und orange, die Lichter der schlafenden Stadt widerspiegelnd, während ich nach Tabak suchte. Sie hatte nicht geschlafen, die braunen Augen schwarz in der Geisterstunde ließ sie ihren Atem sprechen und stand auf, ging zum Schrank und fand sofort die Bettwäsche. Nackt wollte sie nicht bleiben. Sie blickte an sich herunter und warnte mich erneut, sie habe keine Titten. Da war wirklich nicht viel, nur leichte Hügel, die keine Bewegung zeigten, wenn sie sie aufrichtete. Und es nützte überhaupt nichts, darauf zu pfeifen.

Rauch, viel Rauch, war immer in ihrer Stimme, Ein dunkler, grauer, erfahrener Rauch aus vielen Leben vielleicht, oder aus einer verächtlich lauernden, nur ihre eigene Vergangenheit gefangen haltenden Tiefe. Seichte Worte konnte sie so nicht sprechen, jede Silbe wog schwer, nur ein Schelm hinter ihren schweren Blicken ging trotzig seinem Geschäft nach, das ein Mädchen herumtragen hieß, das eine Frau sein mußte. Kein Geschenk war hier angemessen, die Frucht blieb einsam und wurde dadurch nur umso schöner.

Ihre Finger kitzelten den Tabak, während sie eine Zigarette rollte, was ein paar Falten auf ihre hohe Stirn zauberte. Ich lag neben ihr und versuchte, etwas anderes zu sehen. Warum ich nichts sage, wollte sie wissen, erwartete aber keine Antwort. Woher man jetzt einen Brandy bekäme, fragte M. und ließ ihre Zungenspitze, die im Kerzenlicht wie ein weit entfernter Leuchtturm glitzerte, langsam und schnell zugleich über die Gummierung des Papiers streichen, rollte die Zigarette zwischen beiden Handflächen fertig, lächelte ihr kurz zu und nahm das nächste Papier. Ihr Ex auf Ibiza sei dort Polizeichef gewesen, daher hätte sie eine Menge Erfahrung mit Kokain sammeln können, und mit der Besessenheit von Männern. Ja, von ihr sei er besessen gewesen, das sei irgendwann nicht mehr gutgegangen. Ob ich von ihr besessen, ob ich jemals besessen gewesen und wie das ausgegangen sei. Drei Fragen in einer, ich weiß keine Antwort, aber ihre Hüfte bekommt nun einen Knick, als sie nach Feuerzeug und Aschenbecher greift, das Laken rutscht von ihrer Schulter und im Halbdunkel kichern ein paar Dämonen.

Sie rollte die nächste Zigarette fertig und zerbrach dann die kleinen Kunstwerke, denn sie habe etwas vergessen, schlüpfte vom Bett und begann, ihre Tasche zu durchsuchen. Ich schlich mich in die Küche – als wollte ich unentdeckt bleiben – und griff mir zwei Gläser und eine Pulle Brandy, die weder alt, noch besonders voll war.
Ich komme ins Bett zurück, wo M. die nächsten Zigaretten dreht, aber es sind Porros, Joints also, wofür sie ein gutes Stück offenbar nicht besonders hochwertiger Ware zerbröselt. Sie mache das eigentlich nicht mehr, schon seit Jahren nicht, daher ist ihre offenkundige Routine mehr als verwirrend, aber sie kann ihr schwarzes Haar mit einer gewaltig leichten Geste aus dem Gesicht streifen, was mich verstummen ließe, hätte ich tatsächlich etwas zu sagen.
Sie benötigt vier, statt der mir bekannten drei Blättchen, um perfekte Tütenformen herzustellen, zeigt mir die Ergebnisse, und bevor ich zugreifen kann, läßt sie sie unter dem Bettlaken in Richtung ihres Schoßes verschwinden, bringt alle guten und bösen Geister mit der Andeutung eines schmutzigem Grinsens zum Schweigen und zeigt ganz kurz, wie man die Welt und das Universum beherrscht, indem sie meinen Kopf in beide Hände nimmt und meine Seele mit einem Äonen dauernden Kuß neu erfindet. Dann leuchten ihre Augen der Flasche entgegen, während sie protestiert, ich solle das Glas nicht zu voll füllen, sie müsse ja später arbeiten. Was aber ich für angemessen halte, hält sie doch eher für eine Pfütze und sie schenkt sich genüßlich nach, riecht schließlich noch am Schraubverschluß, womit sie albern wird. Ich kann nicht anders und grunze einen Protest in einer mir unbekannten Sprache. M. erkennt darin die Aufforderung, meinen Nacken zu massieren, was sie, jetzt ganz willige Dienstmagd, mehr schlecht als recht erfüllt. Joints drehen kann sie besser, und ich frage danach. Sie seien noch nicht warm genug, sie bräuchten noch etwas.

Ich liege da und frage mich, ob sie mit ihrem Herzen ihren Vater bedauert oder verabscheut, nach allem, was sie über ihn erzählt hat. Oder ob sie das einfach auswendig gelernt hat, denn je krasser ihre Schilderungen, desto entfernter klingen sie. Ich mag mir keine Gedanken über Selbstschutz und all die weitschweifigen Analysen der Spezialisten machen, denn der Ton, den M. manchmal anschlägt, ist jenseits von echt oder falsch. Sie will nichts loswerden, wenn sie von seinen Angriffen und "Besuchen" berichtet, manchmal scheint es fast, als prahle sie damit. Und genau deshalb will ich es nicht so genau wissen, auch nicht, wo und vor allem warum er begraben liegt.

Vielleicht liest sie meine Gedanken, jedenfalls leert sie ihr Glas und läßt den letzten Tropfen auf meine Brust fallen und leckt ihn weg. Sie schnauft, daß es jetzt gut sei und fingert unter dem Bettlaken die Joints hervor, von denen sie mir einen unter die Nase hält, um mich von seinem Aroma zu überzeugen. Er riecht tatsächlich nach ihr und Haschisch und Tabak und hat ein paar kleine feuchte Flecken, die sie schielend vor mir aufzählt, dabei unverständlich flüstert und grob in mein Haar greift. Irgendwo muß ich das Buch über Hexenverfolgungen im Mittelalter haben, und irgendwo in meinem Kopf erscheint wieder das Foto, daß M. bei der Einschulung zeigt, das Bild, welches sie an unserem ersten Abend angestarrt hatte, bis ich sie in der Bar fand.

Sie läßt sich von mir Feuer geben und inhaliert am ersten Porro, tief und beinahe meditativ, schält sich aus dem Laken und parkt ihre Unterschenkel auf meinen, die in Vertretung ängstlich zucken. Wer M. sucht, sucht die Hilflosigkeit, und wer sie findet, findet das weite Meer der Verlorenheit. Je näher man ihr ist, desto deutlicher zeigt sich die Distanz. Ich nehme einen tiefen Zug und trinke dazu Brandy, verschlucke mich, wobei etwas über meine Mundwinkel rinnt. M. spielt die Empörte und wischt auf meinem Mund herum. Mit ihrem rechten Fuß, der salzig riecht und dessen Hornhaut ein wenig gelb ist. Dafür sind die Nägel rot und der gebräunte Fußrücken zeigt seine elegant verlegten Adern. Ein Duft wie ein Korb voll frisch gerösteter Nüsse kriecht in meine Nase, ihre Scham bedeckt sie mit zwei Fingern, die auch noch unhörbar darauf herumtrommeln. Wir sind bei mir, in meinem Reich, über das ich nicht mehr herrsche.

Was M. da gedreht hat, zeigt seine Wirkung. Ein bißchen dreht sich der Raum, der warme Wind draußen beginnt zu flüstern, eine entfernte Ambulanz klingt wie verzweifelt auf der Suche. Eigentlich müßte sie hierher kommen, aber doch lieber fernbleiben, denn nichts ist so erfüllend, wie einfach dieser traurigen Göttin zu erliegen, die so unbeholfen ihre Opfer sucht und umso sicherer findet.
Wie sie zum Tod stehe, möchte ich wissen, eine Frage, die sie keineswegs zu überraschen scheint. Das sei eine ganz normale Angelegenheit und zudem sicher, erklärt sie, ganz anders als die Liebe, die gar nicht existiere. Sie wiederholt es: »El amor no existe.« Und noch einmal, diesmal ganz dicht an meinem Gesicht, so daß ihre Augen dunkler wirken als die Nacht und mich fröstelt. Jedenfalls zittere ich, was M. zu entzücken scheint. Sie legt den Joint in den Aschenbecher und umschlingt mich, atmet in mein Schlüsselbein und leert ihren Blick.

Es ist noch Brandy in der Flasche und sie verzichtet auf ein Glas, nippt nur und gibt sich puppenhaft, als ich mich beruhigt habe und wieder den giftigen Dünsten widme. Nein, sie werde nicht zu dick, erkläre ich vorsorglich, als sie an sich herunterblickt und es auf ihrem Bäuchlein kurz klatschen läßt. Ein wenig schmal, die Waden, denke ich mir, jedenfalls fehlt ein ganz bestimmter Schwung, ein nicht berechenbarer Winkel, aber das binde ich ihr nicht auf die Nase. Dafür treibt sie es einfach zu ungeniert mit mir. Die Fesseln gefallen mir ja ohnehin, mit den so wichtigen Knöcheln und der Sehnigkeit, die sich hier zeigt.

Nun will sie etwas über meine erste Freundin wissen. Ich kolportiere ein paar Nachrichten über Grillfeste und unter der mechanischen Beanspruchung zusammenbrechende Gartenliegen, aber sie will natürlich nicht wissen, was passiert ist, sondern wie es in mir aussah. Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch, illustriere ich jenen Gemütszustand, den ich als der Wahrheit am nächsten kommend bezeichne. Darüber denkt M. ein paar Sekunden nach, vergewissert sich mit einem Blick und einem Kratzen ihrer Zehnägel an meinen Schenkeln der Aufrichtigkeit, die sie erwartet, atmet ausgiebig aus und sehr lange nicht mehr ein, greift schließlich in die Leere und erklärt, ich wisse wenigstens, was Angst sei. Das mit dem Tod würde ihr nun auch klarer. Und wo der zweite Porro geblieben sei, möchte sie auch noch wissen.
Der liegt etwas krumm, aber ansonsten unbeschadet zwischen uns und wird nun von ihren Fingern ergriffen und zurechtgezupft, geradegebogen und erneut mit etwas Speichel benetzt. M. hat Hunger und fragt nach meinem Kühlschrank, dessen Standort ich noch immer in der Küche garantieren kann. Sie verschwindet kurz und kommt mit einem Stück trockenen Weißbrots wieder, auf das sie eine Scheibe glänzenden Schinkens und eine halbe Paprika gelegt hat. Offenbar will sie beim Genuß dieser späten Mahlzeit und dem Vollkrümeln meines Bettes nicht gestört werden, denn sie zeigt sich für Minuten als unansprechbar, während ihre wohlgeformten Kiefer dezent mahlen, woran ich mich gar nicht sattsehen kann. Und dann wird sie endlich träge und eine meiner Hände findet eine ihrer Hinterbacken.

Am Morgen wache ich alleine auf. M. hat mir einen Zettel dagelassen, auf dem nur ein Wort steht: »Atme!«

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