07.01.2009

Was man garantiert nicht fragen sollte

Ich sitze da am Tresen und ahne nichts Böses, doch schon labert mich dieser Heini an, dessen Augen zuversichtliche Einsamkeit verraten, und wünscht mir ein frohes Weihnachtsfest. Er tut das wahrscheinlich, um bei mir Erregungsenergie abzubauen, denn die beiden Mädels, die er schon seit zehn Minuten über zwei leere Barhocker hinweg mit freundlichen Nichtigkeiten attackiert, reagieren darauf nur noch mit mechanischem Lächeln, höflichem Nicken und hilflosem Suchen in ihren Handtaschen. Ich wette, sie wünschen sich einen Kometeneinschlag oder wenigstens irgendwas herbei, was ihre Evakuierung notwendig machen würde. Höflich sagen Sie nicht einfach: Laß uns in Ruhe, Langweiler!, sondern verharren in rehhaftem Phlegma. Naja, sie sind ja zu zweit ...

Die Weiße Stimme des Blues / 04:52 / Reportagen vom Ende der Welt / Link / Zwischenruf / Trackback

Nun spendiert er mir auch noch einen seltsamen Drink mit Espresso drin, der überhaupt nicht begeistert, aber der Typ ist einfach zu uninteressant, um ihm nein zu sagen. Ich bedanke mich, proste ihm zu und stelle mich vor, worauf er mich fragt, wie ich heiße. – Einfach wird das nicht werden, ich habe wohl die Rechnung wenn schon nicht ohne den Wirt, so doch ohne die Gnadenlosigkeit des Alleinseins gemacht, die diesen hilflosen Deppen wie Dampf umgibt. Oder er ist bloß sternhagelvoll. So wirkt er aber nicht. Im Gegenteil.

Verstehen kann ich so manches, aber Solidarität kommt deswegen noch lange nicht zustande. Ich stelle mich dem Blödmann noch einmal vor, der versteht nur »Prost!« und möchte noch eine Runde spendieren, was ich diesmal ablehne, und natürlich ohne Begründung, damit er endlich spitzbekommt, wie sehr er sich selbst zuviel Leine gegeben hat. So, wie er ist, ignoriert er jedoch jegliche Kritik.

Die Mädels sind verschwunden, ihre halbvollen Gläser aber nicht. Sie sind garantiert für kleine Mädchen, denke ich mir, der Depp ist aber schon nervös auf dem Weg zum Klo, was mir einen willkommenen Moment der Abgeschiedenheit verschafft.
Ich versuche gerade, die Flaschen hinter dem Tresen zu zählen und schätze das Vorhandensein einer solchen Bar im Gaza-Streifen ein (und wie ein vorbeirasselnder israelischer Panzer die Flaschen klirren lassen würde), als Mister Unbeholfen erneut auf dem Barhocker neben mir erschienen ist, als sei er schließlich gebeamt worden. Ich tue so, als hätte ich das gar nicht bemerkt, er tut so, als hätte ich ihn gefragt, wo er geblieben sei und was es zu berichten gäbe. Ein echter Pickel am Arsch.
Er trompetet sofort los: »Oh Mann, jetzt hab' ich völlig verschissen!«
Ich frage warum und zucke vorsichtshalber schon mal mit den Schultern, was er aber als gesteigertes Interesse versteht:
»Hast Du die beiden Damen dahinten gesehen?« Er meint die Mädels am anderen Ende des Tresens, die jetzt wohl endgültig verflogen sind.
»Ja, aber nur kurz.« (Ganz hübsch waren sie zwar, aber hübsch heißt nicht interessant.)
»Die Blonde ... also nein ... da hab' ich jetzt auf ewig verschissen.«
»Warum denn?« Ich stelle mir vor, wie er ihr unelegante Komplimente gemacht hat, womöglich vorm Damenklo, die deswegen aber noch lange nicht auch nur ansatzweise charmant sein müssen. Das reicht eigentlich, um verschissen zu haben, aber der Depp hat in anderer Hinsicht ganze Arbeit geleistet:
»Ich hab' sie gefragt, ob sie Mann oder Frau ist ...«
»Was?«
»Ja, das sieht man bei ihr nicht sofort. Du hast sie doch auch gesehen, oder?«
Das habe ich, allerdings kann ich seine Zweifel nicht einmal ansatzweise teilen.
Ich versuche mich in einer Art mahnender Diplomatie, vielleicht ist der Depp einfach etwas aus dem Tritt geraten. Soll ja vorkommen.
»Ich habe sie nur kurz aus dem Augenwinkel gesehen, aber eigentlich ...«

Das interessiert ihn schon gar nicht mehr, denn er macht bereits der sonst hier arbeitenden und momentan abwesenden Bardame heftige Komplimente, und zwar ihrem sie vertretenden Freund gegenüber. Der Aushilfsbarmann bleibt cool und hört sich die unsäglichen Schwärmereien nickend an, die auch ich mitbekomme und mir deshalb wünsche, taub zu sein.
Endlich zahlt dieses Wunder an einsamer Verrücktheit und überläßt dem Barmann ein überproportionales Trinkgeld, wovon der seiner Freundin auch noch einen Blumenstrauß mit Widmung kaufen soll.

Nun kann man sich wohlwollend – und zwar richtig wohlwollend – fragen, ob das eine Art Chuzpe oder eine Form von Verzweiflung ist, aber ich bin nicht wohlwollend, denn es ist Weihnachten.

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